Typisch deutsch?
Erinnern Sie sich noch an die Corona-Zeit 2020? Keine schöne Zeit. Wir durften oder sollten nicht so richtig vor die Tür gehen, uns nicht treffen. Obwohl Eigentümerversammlungen auch damals erlaubt waren. Aber als Verwalter wollte man ja nicht verantwortliche sein, wenn sich v.a. jemand älteres auf der eigenen Versammlung ansteckt, mit wesentlichen gesundheitlichen Folgen.
Der Gesetzgeber hat sich dann glücklicherweise im Dezember 2020 die Online-, nein, die Hybrid-Eigentümerversammlung ausgedacht. (Ich habe sie immer „Online“-EV genannt).
Was ist eine Hybrid-Eigentümerversammlung?
Es ist eigentlich eine ganz normale Eigentümerversammlung, wie Sie sie kennen, zu der sich aber auch Leute online aus der Ferne zuschalten können. Es gibt einen echten, „physischen“ Ort, zu dem Sie alle hinkommen können. Aber einer, mehrere oder alle Eigentümer können sich auch online mit dem Laptop, iPhone etc. aus der Ferne zur EV zuschalten.
Im Ergebnis sitzen manche am Versammlungsort, andere sind online zugeschaltet. Ein „hybrides“ Format. Oft genug ist es mir passiert, dass ich als WEG-Verwalter ganz alleine da gesessen habe und sämtliche Eigentümer sich online zugeschaltet haben. Es hat wirklich sehr gut geklappt und wir machen das bis heute. Denn auch nach dem Ende der Pandemie gibt es ja Leute, die weiter weg wohnen, sei es München, Heidelberg oder Hamburg. Sie sparen sich die lange Anfahrt, die Spritkosten und ggfs. die Übernachtung. Sie schalten sich einfach online zu. Nach meiner Erfahrung funktioniert das bei WEGs bis 15 oder 20 Einheiten wirklich sehr gut.
Die Voraussetzungen für die Hybrid-EV:
- Bedingung Nummer 1: Es muss einen „echten Ort“ geben, an dem man sich trifft und wo man wirklich persönlich hingehen kann.
- Bedingung Nummer 2: Es muss einmalig von der WEG mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, dass man hybride Eigentümerversammlungen veranstalten darf. Dieser Beschluss gilt dann für immer.
2023 hat der Gesetzgeber dann „noch einen draufgelegt“ und sich die „echte“ Online-Eigentümerversammlung ausgedacht. In der Theorie eine richtig gute Sache: Sie nutzen alle das gleiche Medium, Sie alle sitzen vor dem Laptop und nutzen die gleiche Konferenz-Software. Alle sind online zugeschaltet und es gibt keine Medienbrüche, Sie sehen und hören sich gegenseitig. Keine Probleme mit Mikrofon und Kamera in großen Räumen. Einfach alle Mann online. Aber: Ich nutze die Online-Eigentümerversammlung wirklich überhaupt nicht, denn sie ist so richtig „typisch deutsch“. Theoretisch super, aber praktisch ein überbordendes Bürokratiemonster.
Die Voraussetzungen für die Online-EV:
- Bedingung 1: Die WEG muss mit 75%iger Mehrheit beschließen, dass Online-Eigentümerversammlungen zulässig sind. Das bekäme man noch hin, denn wo ein Wille ist, ist ein Beschluss.
- Bedingung 2: Den Beschluss müssen Sie alle 3 Jahre neu fassen. Er ist also nur für eine begrenzte Zeit gültig. Da habe ich als Verwalter Angst, dass ich es vergesse.
- Bedingung 3: Sie müssen sich auch alle 3 Jahre zu einer ortsgebundenen EV treffen.
Vermutlich sollen Sie mit diesen recht eng gefassten Voraussetzungen geschützt werden. Aber so ein System ist fehleranfällig. Als Verwalter muss man diese Fristen gut im Auge behalten, sonst… Ja, sonst was?
Das ist die große Frage, die nicht im Gesetzestext erwähnt ist. Wenn ich die 3-Jahres-Frist vergessen, was ist dann mit den Beschlüssen? Sind sie dann angreifbar, anfechtbar? Sind Sie automatisch nichtig oder sind sie trotzdem gültig?
Ich weiß es nicht, aber die Konstruktion ist mir zu wackelig. Der Gesetzgeber muss nachbessern und die 3-Jahres-Frist abschaffen. Bis dahin distanziere ich persönlich mich von der reinen Online-Eigentümerversammlung.
Fassen wir noch einmal zusammen:
Die hybride Eigentümerversammlung muss beschlossen werden – einmalig, mit einfacher Mehrheit und gültig für immer. Es gibt einen echten, physischen Versammlungsort, an dem Sie sich treffen oder online zuschalten können. Die hybride EV spart allen Eigentümern, die weiter weg wohnen, die Anfahrts- und Übernachtungskosten und ist bis zu einer WEG-Größe von 15 oder 20 Einheiten gut durchführbar.
Die Online-Eigentümerversammlung ist aufgrund der strengen Formerfordernisse rechtlich unsicher und zu wackelig, wenn man als Verwalter mal eine Frist versäumt.