
Die Rücklage sollte ein Puffer für Unvorhergesehenes sein, und sich daher an zukünftigem Instandhaltungsbedarf orientieren – aber wie hoch ist dieser? Mangels Alternative verwendet man oftmals Durchschnittswerte pro qm. Diese werden dann anhand der Fläche hochgerechnet, um die jährliche Beitragspflicht zur Erhaltungsrücklage auszurechnen.
Einen der populärsten Durchschnittswerte finden Sie in der II. BV (Zweite Berechnungsverordnung). Dabei ist ihr Inhalt nicht einmal besonders überzeugend – und schon gar nicht für WEGs gedacht. Als gesetzliche Grundlage für den sozialen Wohnungsbau differenziert sie drei Altersklassen von Gebäuden: Jünger als 22 Jahre, 22 bis 32 Jahre und ältere Gebäude. Für diese werden dann Instandhaltungskosten in Höhe von 7,10 EUR, 9 EUR bzw. 11,50 EUR pro qm und Jahr angesetzt. Kaum berücksichtigt wird, über welche (hochwertige) Gebäudetechnik ein Haus verfügt. Der Gebäudetyp E hat vielleicht eine Heizung und eine RWA-Anlage, während andere Neubauten von Aufzug bis Sprinkleranlage in der Tiefgarage allerlei kostenintensive Technik bergen. Klar, denn die Verordnung bezieht sich ja auf den sozialen Wohnungsbau und nicht auf Eigentümergemeinschaften oder moderne Technik. Zudem stammt das Werk aus dem Jahr 1957 und wurde 1990 neu gefasst, als u.a. Sprinklertechnik und Brandmeldezentralen für Tiefgaragen noch nicht so verbreitet waren wie im heutigen Neubau. Von moderner Gebäudetechnik ganz zu schweigen.
Aber die II. BV enthält eben als einzige Verordnung weit und breit einen Paragraphen zu Instandhaltungskosten, die in §28 genannt werden – wenn auch kaum differenziert und nur als grober Durchschnittswert angegeben. Daher verwendet man sie. Die Werte dort haben sich zwar seit mindestens 15 Jahren nicht mehr geändert, obwohl Inflation und Baukosten ständig steigen. Zudem sind sie ja auch gar nicht für den Ansatz im Wirtschaftsplan einer Eigentümergemeinschaft gedacht. Aber man verwendet sie einfach, weil es kaum Alternativen gibt.
Eigentlich müsste man Instandhaltungskosten ja für jedes Gebäude individuell ausrechnen, weil sie so stark vom Einzelfall abhängig sind: Alter und Zustand des Gebäudes, vorhandene Gebäudetechnik, absehbare Erneuerungsinvestitionen, Modernisierungsmaßnahmen uvm. Solche Faktoren müssten eigentlich viel öfter berücksichtigt werden. Aber wieso macht das dann niemand?
Das Problem ist nicht, dass bisher niemand eine bessere Idee gehabt hätte. Aber jede Immobilie umfasst so viele verschiedene Gewerke, die irgendwann mal instandgehalten oder -gesetzt werden müssen. Sie müssten für Heizung, Dach, Abwasserleitungen, RWA-Anlage, Fenster, Aufzug, Tiefgaragentor usw. alle möglichen Parameter abschätzen, z.B. die Verarbeitungsqualität, Haltbarkeit und Restnutzungsdauer. Wie ist es mit zukünftigen Sanierungskosten? Vielleicht könnte man ja einen Sachverständigen bei der Bewertung um Hilfe bitten. Aber für Dach, Heizung und Tiefgaragentor brauchen Sie andere Fachleute. Und die kommen nicht umsonst. Am Ende der ganzen zeit- und kostenintensiven Besichtigungen sind Sie nicht unbedingt schlauer als vorher. Wenn Sie Lebensdauer und Folgekosten jedes Bauteils einzeln (und inflationsbereinigt!) hochrechnen, würde das eine unvorstellbare Rechnerei mit sich bringen, der man kaum gewachsen wäre. Selbst einen teuren, externen Sachverständigen würden Sie lange damit beschäftigen.
Davon abgesehen hilft es nicht, den Austausch des Heizkessels in 4,3 Jahren vorauszusagen (Zu welchem Preis? Wie ist der aktuelle Stand der „Habeck-Gesetze“ im Juni 2028? Oder im September 2029?). Entweder geht Ihre Heizung kaputt oder hält noch einige Jahre. Vielleicht muss in acht Jahren mal der Brenner ausgetauscht werden, oder doch nur das Gebläse? Was kostet die Platine der Heizungssteuerung in sechs Jahren? Und wenn man die Lebensdauer Ihres Balkons mit 21,7 Jahren prognostizieren würde, wie sind dann die Folgekosten? Komplette Sanierung? Kann man die Fliesen dann noch nachbestellen oder muss man sie auch mit tauschen? Gibt es im Jahr 2033 noch den Fachkräftemangel und wie haben sich die Baukosten bis dahin entwickelt? Werden sich in den nächsten zehn Jahren Holz- und Zementpreise ähnlich entwickeln wie bisher? Sie sehen schon – hier kann man sich schnell verrücktrechnen. In vielen zahlenverliebten Lehrbüchern steht, dass man nur genug Daten erheben muss, um treffende Prognosen abzugeben. Aber Durchschnitte und statistische Vergangenheitsdaten sind nun einmal mit Vorsicht zu genießen. Wer Lehrbücher schreibt, kümmert sich selten um die Instandhaltung von Gemeinschaftseigentum.
Wenn man darüber nachdenkt, ist es gerechtfertigt, sich dann eben doch an einfachen Formeln zu orientieren, sofern man ein bisschen differenziert vorgeht. Was also tun?
Zweck der Rücklage ist es, einen Puffer zu bieten, um die Eigentümer vor plötzlichen, größeren finanziellen Belastungen zu schützen. Anstatt sich einen Leistungswettbewerb im Hellsehen zu liefern, muss der Verwalter Sie als Wohnungseigentümer vor finanziellen Katastrophen bewahren.
Der Verwalter kann nämlich ganz schnell in den eigenen Unterlagen nachsehen, wie viel Geld in den letzten Jahren für Instandhaltungsmaßnahmen ausgegeben wurde, und daraus einen (z.B. gewichteten) Durchschnitt berechnen – oder diese Kosten mit einem bestimmten Prozentsatz hochrechnen. Er kann sich an Ihrem Gebäude orientieren – oder an vergleichbaren Gebäuden aus seinem Bestand. Gab es in der Vergangenheit größere Schwankungen? Dann sollte man niedrige Werte bei der Durchschnittsbildung rauslassen und hohe Ausgaben stärker einberechnen. Sie wollen ja vor größeren Sonderumlagen geschützt sein. Wenn man die Werte hat, könnte man sie z.B. mit denen aus der II.BV vergleichen – oder mit anderen Formeln. Weil Sie ja vorsichtig rechnen wollen, verwenden Sie den höheren Wert von beidem, um eine angemessene Beitragspflicht zu berechnen.
Das Ansparen einer Rücklage soll größere Sprünge im Laufe der Zeit ausgleichen. Deswegen spielt nicht nur die jährliche Beitragspflicht eine Rolle – wichtig sind auch die bereits angesparten Mittel. Wenn die jährliche Beitragspflicht niedrig und die Kasse fast leer ist, sollte die WEG schnellstens deutlich höhere Sparraten beschließen. Wenn die Kasse aber schon sehr voll ist, obwohl in den letzten Jahren kaum Instandhaltungen aufgetreten sind, kann man die Beitragspflicht reduzieren – oder zumindest nicht weiter erhöhen, um die Eigentümer zu entlasten.








