Wer hätte das gedacht? Das Modell „Eigentümerversammlung“ hat sich ganz anders entwickelt, als der Gesetzgeber es 1951 vorhatte. Von der gesetzlichen Lage findet man in der Realität herzlich wenig. Viele Eigentümer denken, die EV sei eine stundenlange Sitzung, die einmal im Jahr stattfindet. So machen es die meisten Hausverwaltungen ja auch.
Und weil es so langweilig ist, geht kaum jemand hin. Irgendwie laufen Entscheidungen im Hintergrund, und wenn Sie Glück haben, stimmen sich immerhin Verwalter und Beirat ab, wenn Aufträge zu erteilen sind oder Verträge gekündigt werden müssen. Zumindest bis zur ersten Niederlage vor Gericht geht das gut. … Moment, was soll das heißen? Ganz einfach: Das beschriebene Verhalten ist rechtswidrig. Aber wie macht man es denn richtig?
Zur Sachlage:
Laut WoEigG hat die Rechtsform „Wohnungseigentümergemeinschaft“ drei Organe:
- Eigentümerversammlung (Aufgabe: Willensbildung = Treffen von Entscheidungen),
- Verwalter (Aufgabe: Umsetzung von Entscheidungen),
- Beirat (Aufgabe: Unterstützung bei Umsetzung von Entscheidungen).
Der Gesetzgeber schreibt zwingend vor: Allein die Eigentümerversammlung trifft Entscheidungen – und keiner sonst. Laut WoEigG trifft man sich bei jeder „größeren Kleinigkeit“ zur EV, stimmt ab und geht nach ein „paar Minuten“ wieder. Der Beirat ist kein Entscheidungsorgan. Der Verwalter auch nicht. Beide sind an Mehrheitsbeschlüsse der EV gebunden. Wenn ein Thema im Raum steht, sind sie verantwortlich, einen Beschluss herbeiführen.
Viele Eigentümer denken, die EV seieine stundenlange Sitzung, die einmal im Jahr stattfindet. Aber das stimmt nicht: Der Gesetzgeber sieht vor, dass Entscheidungen ab einer gewissen Tragweite von der EV getroffen werden, nicht von Verwalter oder Beirat. Das Gesetz sagt, dass man sich bei jeder „größeren Kleinigkeit“ zur EV trifft, abstimmt und nach ein „paar Minuten“ wieder geht.
Alles andere entsteht in den Köpfen. Dort hat es sich fest verwurzelt. In der Regel findet in jedem Jahr wirklich nur eine Eigentümerversammlung statt.
Der jährliche Turnus ist u.a. der Jahresabrechnung geschuldet. Sie kommt einmal im Jahr und gilt bis zum Beschluss auf der Eigentümerversammlung als Entwurf. Schon deswegen muss man sich einmal im Jahr treffen und abstimmen. Regelmäßig stehen auch noch die Standard-Themen auf der Agenda:
- Bericht der Verwaltung
- Beschlussfassung Jahresabrechnung
- Beschlussfassung Wirtschaftsplan
- Entlastung Verwaltung
- Entlastung Beirat
Oft hört man auch die Begriffe „ordentliche“ und „außerordentliche“ Eigentümerversammlung. In diesem Sinne ist eine EV „ordentlich“, wenn sie die o.g. Themen enthält. Wirklich eigenartig, denn der Gesetzgeber kennt diese Unterscheidung nicht. Aber sie hat sich eingebürgert und festgekrallt.
Und weiter?
Nicht dringende Themen hat der Verwalter im Laufe des Jahres abgeheftet. Sie stehen jetzt auf der Themenliste. Die ist lang und undurchsichtig. Oft lassen einsilbige Überschriften wie „Balkonsanierung 2021“ in der Einladung nur erahnen, worum es geht. Mehr Informationen gibt es aber nicht.
Das darf nicht sein. Bei allen Dingen von einer gewissen Tragweite muss der Verwalter alle Eigentümer einbeziehen, nicht nur den Beirat. Es gehört zu den Kernaufgaben des Verwalters, alle Informationen so aufzubereiten, dass die Eigentümer eine vernünftige Entscheidungsgrundlage haben.
Dringende Themen wurden von der Verwaltung während des Jahres bereits irgendwie erledigt und stehen nicht mehr auf der Agenda. Autsch. Das kann brenzlig werden, denn auch für dringende Themen gilt die gesetzliche Regelung, dass nur die EV entscheiden darf – und keiner sonst.
Allerdings ist hier eine differenzierte Sichtweise wichtig: Wenn Gefahr im Verzug ist, muss der Verwalter schnellstens handeln. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Problematisch sind Grenzfälle mit gewissem Entscheidungsspielraum. Aus rechtlicher Sicht muss eine Eigentümerversammlung stattfinden, wenn auch nur ein minimaler Entscheidungsspielraum besteht.
Und was ist mit einem blockierten Aufzug? Aus rechtlicher Sicht könnte man ja 14 Tage auf die Beschlussfassung warten. Und wenn im 3. OG ein Rollstuhlfahrer wohnt? Meiner Meinung muss auch ein teures Ersatzteil direkt bestellt werden. Solche Grenzfälle können für den Verwalter natürlich brenzlig sein. Vertreter ohne Vertretungsmacht? Schlimmstenfalls zahlt er alles selbst. Trotzdem: Solange es im Sinne der Kunden ist, sollte man sich als Verwalter in bestimmten Fällen aus dem Fenster lehnen, um den Kunden ohne Beschluss schnell zu helfen. Das gilt zumindest bei Vorgängen, die keinen Aufschub dulden und die Entscheidung klar ist. Umsichtige Verwalter kommunizieren transparent und teilen allen Eigentümer per Mail mit, wie es steht – und was man vorhat. Je transparenter die Kommunikation, desto geringer das Risiko.
Das gilt natürlich nur, wenn zwischen WEG und Verwalter ein jahrelanges, beidseitiges Vertrauensverhältnis herrscht, denn niemand macht sich gern zur Zielscheibe. Auch der Verwalter nicht. Eigentümergemeinschaften, bei denen es schon Anfechtungsklagen gegeben hat, sollten sich auf diese Kulanz besser nicht verlassen.
2 Gedanken zu „Die Eigentümerversammlung – der missverstandene Riese?“