Die notarielle Beurkundung des Kaufvertrags ist Ihre Tür zum Wohnungseigentum. Obwohl der Notar der „Pförtner“ zur Wohnungseigentümergemeinschaft ist, leistet er selten auch die angemessene Aufklärungsarbeit. Obwohl es bei Eigentumswohnungen sehr viele rechtliche Besonderheiten für Sie zu beachten gibt. Meistens stellt er nur Geschwindigkeitsrekorde auf, wenn er den Kaufvertrag vorliest.
Der Notar ist aber auch kein Lehrer. Sein Job ist es, dass Käufer und Verkäufer einen rechtssicheren Vertrag schließen, der allen juristischen Normen entspricht, damit es bei der Übertragung im Grundbuch keine Komplikationen gibt. Es ist nicht seine Aufgabe, Sie zum Thema Wohnungseigentum zu unterrichten.
Vom Straßenverkehr kennen wir das anders: Bevor Sie mit dem Führerschein auf die anderen Verkehrsteilnehmer losgelassen werden, müssen Sie zum Theorieunterricht und Fahrstunden nehmen. Erst dann dürfen Sie überhaupt zur Prüfung gehen. Wenn Sie mit dem TÜV-Prüfer im Auto die Leitplanke rammen oder über rot fahren, war’s das.
Ganz anders im Wohnungseigentum. Zwar hat hier noch niemand eine Leitplanke gerammt, aber so mancher tauscht ungefragt die Fenster aus oder montiert eine Markise an den Balkon, weil er nicht weiß, dass er die Erlaubnis seiner Miteigentümer braucht. Oder versalzt seinen Nachbarn so manche Eigentümerversammlung, weil er von seinen Rechten und Pflichten nichts versteht und die rechtlichen Gegebenheiten in Frage stellt.
Eine „Führerschein-Prüfung“ für werdende Wohnungseigentümer wäre klasse. Leider gibt es sie nicht, meistens hat der Notar nicht einmal eine Infobroschüre. Während Sie beim Autofahren intuitiv wissen, dass Sie dem Vordermann nicht zu dicht auffahren oder in den Gegenverkehr geraten sollten, steckt im WoEigG viel Zündstoff, der für Anfänger nicht leicht zu erkennen ist.
Es steckt viel Konfliktpotential in den Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts. Woher soll ein „durchschnittlicher“ Eigentümer z.B. wissen, dass er Sachbeschädigung begeht, wenn er ohne Erlaubnis der Eigentümerversammlung „seine“ Fenster erneuert, die nun einmal zum Gemeinschaftseigentum gehören – oder wenn er einen Spion in die Wohnungstür einbohrt, die ebenfalls nicht ihm allein gehört? Richtig: Fenster, Wohnungstüren, Dach und Heizung sind zwangsläufig Gemeinschaftseigentum – und vieles mehr. Hingegen gehören die Nebenleitungen für Strom, Heizung und Wasser (ab der ersten Absperrung) Ihnen alleine, ebenso der Fußbodenbelag und die Innenseite des Balkons, dessen tragende und abdichtende Elemente wiederum zwangsläufig Gemeinschaftseigentum sind, ebenso wie alles, was man von außen sehen kann. Wenn Sie nicht aufmerksam Ihre Teilungserklärung gelesen haben, erklärt Ihnen das niemand.
Schlimmstenfalls führen Missverständnisse zu langwierigen Grabenkämpfen in einer WEG. Anwalts- und Gerichtskosten sind Wertminderungen, weil Geld aus Ihrer Tasche fließt. Laut statistischem Bundesamt gibt es pro Jahr rund 25.000 gerichtlich ausgetragene Binnenstreitigkeiten von WEGs. Natürlich sollten Sie sich wehren, wenn Ihnen Unrecht geschieht. Aber viele WEG-Prozesse wären vermeidbar, wenn mehr Aufklärungsarbeit geschehen würde. Manche Eigentümer hinterlassen eine Spur von gerichtlichen Aktenleichen, bloß um am Ende zu sagen „Ich hatte recht“.
Oder auch nicht. Diese Leute erleiden nämlich oftmals Schiffbruch, weil sie ihr rechtsformspezifisches „Fachwissen“ aus Internetforen beziehen. Dort findet man viel Gebrabbel. Schlimmer noch: Viele Beiträge stammen aus dem Mietrecht und werden einfach so interpretiert, als ginge es um Wohnungseigentum. Dann heißt es auf der Eigentümerversammlung: „Ich hab da was im Internet gefunden: Der Vermieter darf …“. Moment, der Vermieter? Hier verwechseln Sie ganz klar WEG- und Mietrecht. Das Wort „Vermieter“ kommt im WoEigG genau einmal vor, und zwar im § 36 (2). Dort geht es um das Dauerwohnrecht, dem verkümmerten zweiten Teil des Gesetzes, den keiner anrührt.
Die Rechtsgrundlagen von Miet- und WEG-Recht sind trotz vielfacher Harmonisierungsbemühungen immer noch sehr unterschiedlich. Was im Mietrecht vorgeschrieben ist, kann im WEG-Recht verboten oder allenfalls geduldet sein – und andersrum. Es ist keine Schande, dass man schnell mit seinem Latein am Ende ist und im Internet nichts Brauchbares findet. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Es gibt bisher keinen verpflichtenden WEG-Führerschein, der die Eigentümer vor dem Kaufvertrag fit für ihre neuen Rechte und Pflichten macht, die meisten Beratungsstellen sind immer noch viel zu sehr auf das Mietrecht spezialisiert und leider ersaufen viele WEG-Verwalter so sehr in ihrer Arbeit, so dass sie als letzte Instanz ebenfalls keine Zeit haben, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
