
Eines der am weitesten verbreiteten Mythen ist der Vorratsbeschluss. Die bittere Wahrheit ist: Meistens schafft es jeder Fachanwalt, einen „Vorratsbeschluss“ schon in der ersten Instanz sofort in Stücke zu zerlegen. Was viele unter einem Vorratsbeschluss verstehen, ist vom Gesetzgeber in der Form gar nicht vorgesehen, und widerspricht vielen formellen Vorschriften des WoEigG, die zwingend eingehalten werden müssen.
Weil weder Verwalter noch Beirat über Themen von größerer Tragweite selbst entscheiden dürfen, muss die Eigentümerversammlung einen Beschluss fassen. Manchmal reicht die Vorbereitungszeit nicht aus und es liegen z.B. noch nicht alle Angebote für eine Baumaßnahme vor. Es wäre ja verlockend, die Maßnahme jetzt doch schon zu beschließen, und wichtige Details später vom Beirat entscheiden zu lassen. Das ist leider nicht zulässig. Noch schlimmer wird es, wenn bereits über Dinge entschieden werden soll, zu denen praktisch noch gar keine Details bekannt sind. Der Gesetzgeber hat aber bestimmte Anforderungen an die Wirksamkeit von Beschlüssen. Wenn noch keine Fakten bekannt sind, kann man nichts beschließen. Auch nicht auf Vorrat. Das Problem: Beschlüsse müssen inhaltlich bestimmbar sein und sich auf einen konkreten (Einzel-) Fall beziehen. Vorratsbeschlüsse erfüllen in der Regel beide Voraussetzungen nicht. Spätestens, wenn es mal Ärger unter den Eigentümern gibt, kann das teuer werden. Jedes Gericht erklärt solche Beschlüsse sofort für unwirksam. Ein paar Beispiele von gut gemeinten, aber ungültigen „Vorratsbeschlüssen“:
- Wir beschließen, dass das Treppenhaus angestrichen werden soll, „wenn es mal nötig ist“.
- Wenn die Treppenhausreinigung weiter so schluderig gemacht wird, entscheidet der Beirat über die weitere Vorgehensweise.
- Wenn zwei weitere Angebote vorliegen, entscheiden Verwalter und Beirat über die Auftragsvergabe für die Dachreparatur.
Inhaltliche Bestimmbarkeit
Ein Beschluss muss inhaltlich hinreichend bestimmbar sein, ansonsten ist er nicht gültig.Aus dem Beschlusstext muss klar hervorgehen, welche Handlung ausgeführt werden soll. Wenn morgen ein neuer Verwalter gewählt wird, müsste er allein aus dem Beschlusstext verstehen können, was er tun soll und wie er es zu tun hat. Es darf keinen Interpretationsspielraum geben. Alle wichtigen Details müssen zwingend im Beschluss geregelt werden. Wenn z.B. eine handwerkliche Maßnahme beschlossen wird, muss klar sein, welcher Handwerker beauftragt werden soll, wie hoch der Kostenrahmen ist, wie die Maßnahme finanziert werden soll (Rücklage oder Sonderumlage?), bis wann sie umgesetzt werden soll usw.
Wenn sich aus dem Beschlusstext eine konkrete Handlung ableiten lässt, ist er in der Regel gültig. Bei Vorratsbeschlüssen sind hingegen viele Dinge noch gar nicht klar. Das stellt den Verwalter vor Probleme, da er ja für die Umsetzung verantwortlich ist. Wenn er selbst Entscheidungen trifft, haftet er auch.
- Beim Beschluss, das Treppenhaus zu streichen, „wenn es nötig ist“, fehlt eine klare Regel, wie man feststellt, wann „es nötig“ ist. Unklar bleibt, bis zu welchem Kostenrahmen der Auftrag erteilt werden darf, welcher Handwerker beauftragt werden soll und aus welchem Topf es bezahlt wird.
- Beim Beschluss über die Treppenhausreinigung steht der Beirat in der Schusslinie. Was „weitere Vorgehensweise“ bedeutet, wird nicht klar. Soll der bestehenden Firma gekündigt und eine neue beauftragt werden? Liegen Angebote und ein Preisspiegel vor? Ist ein Leistungsverzeichnis als Grundlage für den neuen Auftrag definiert? Wie erkennt man, ob die Treppenhausreinigung als „so schluderig“ zu bezeichnen ist? Die Entscheidung wird auf den Beirat delegiert, der für das Treffen von Entscheidungen gar nicht befugt oder versichert ist.
- Auch bei der Dachreparatur, für die noch weitere Angebote eingeholt werden sollen, wird die Entscheidung über die Handwerkerauswahl aus der EV herausdelegiert. Sollte der beauftragte Handwerker Insolvenz anmelden und dadurch die gezahlte Anzahlung uneinbringlich werden, haften Verwalter und Beirat dafür, denn nur die EV darf die Handwerker auswählen
Lösungsmöglichkeit: Weitere EV
Warum sollte für solche Fälle überhaupt ein Vorratsbeschluss gefasst werden? Das Gesetz verlangt schließlich, dass allein die Eigentümerversammlung Entscheidungen trifft, wenn sie eine gewisse Tragweite haben. Also sollte man Entscheidungen auch nicht künstlich aus der EV herausverlagern, weil ansonsten immer jemand anders die Haftung auf sich nehmen müsste. Wenn es nach dem Gesetzgeber geht, sollen sich die Eigentümer immer dann treffen, wenn eine (größere) Entscheidung getroffen werden muss. Die Eigentümerversammlung findet nicht einmal im Jahr statt, sondern nach Bedarf. Sie müssen also nicht bis nächstes Jahr warten. Wenn alle Entscheidungsgrundlagen vorliegen und Sie genau im Bilde sind, worüber entschieden werden soll, treffen Sie sich wieder. Zwar ist eine erneute EV für alle Beteiligten etwas aufwändig, aber sie ist es wert, damit die Eigentümer sich über eine größere Maßnahme eine Meinung bilden und entscheiden können. Viel besser als der Vorratsbeschluss, der sowieso nur bis zum Amtsgericht hält.
Lösungsmöglichkeit: Umlaufbeschluss mit einfacher Mehrheit
Ein Umlaufbeschluss ist ein „Unterschriftenzettel“, mit dem die Eigentümer außerhalb der Eigentümerversammlung erklären, dass sie mit einem Beschlussvorschlag einverstanden sind. Wenn man keine separate Versammlung veranstalten möchte, kann man seit der WEG-Reform des Jahres 2020 auch abkürzen: Wenn noch nicht alle Fakten bzw. Angebote vorliegen, können Sie auf der EV trotzdem den groben Rahmen beschließen, und festlegen, dass die Entscheidung über bestimmte Details später per Umlaufbeschluss getroffen wird. Sofern sich die EV mit der Sache „vorbefasst“ hat, dürfen Sie auf der EV sogar bestimmen, dass der Umlaufbeschluss in dieser Angelegenheit mit einfacher Mehrheit getroffen wird. Die hohen Voraussetzungen für den Umlaufbeschluss, der ansonsten 100% Zustimmung erfordert, werden für den Einzelfall auf 50,01% heruntergesetzt, wenn Sie die Entscheidung auf „später“ verlagern möchten, wenn alle Fakten vorliegen. Voraussetzung ist aber immer, dass die Eigentümer sich in der EV mit einem Thema schon auseinandergesetzt haben.
Gültiger Vorratsbeschluss
In seltenen Fällen kann ein Vorratsbeschluss auch gültig sein, aber das ist wirklich die Ausnahme. Denn er muss sowohl inhaltlich eindeutig bestimmbar sein als auch auf einen Einzelfall bezogen. In über 15 Jahren WEG-Verwaltung hatte ich so einen Fall nur ein einziges Mal, aber es war möglich: Es ging um eine Brandschutztür zur Tiefgarage, die einen Automatikantrieb hatte, der öfters ausfiel. Vor der EV funktionierte aber alles wieder. Trotzdem lagen schon konkrete Angebote für den kompletten Austausch vor. Die EV hat entschieden, dass – sobald die Türe noch einmal ausfällt – ein bestimmter Handwerker in einem festgelegten Kostenrahmen auf Basis eines konkreten Angebots beauftragt werden soll, den Türantrieb komplett auszutauschen. Auch die Finanzierung zu Lasten der Rücklage wurde entschieden. Der Vorratsbeschluss war in praktisch jeder Hinsicht konkret und greifbar – nur der Zeitpunkt stand nicht fest, war aber ebenfalls eindeutig bestimmbar, nämlich sofort beim nächsten Ausfall des Türantriebes. Alle Details standen fest: Handwerkerauswahl, Kostenobergrenze und Finanzierung. In der Regel sind solche greifbaren Vorratsbeschlüsse sehr selten.
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Nach langer Recherche habe ich endlich mal einen Artikel zum „Vorratsbeschluss“ gefunden!
Er passt genau zu meinem Problem, den dazu kommt noch, dass die WEG mit Mehrheit (19:1) beschlossen hat, bis zu 3*5.000€/Jahr für Instandhaltungs- und Instandsetzung ohne WEG-Beschlussfassung zu erlauben. (Mündliche Begründung: notwendige Massnahmen sollen damit schneller erledigte werden können)
Ich habe eine Anfechtungsklage beim AG eingereicht (5 Tage vor Fristablauf)!
Die Beschlusskompetenz ist doch ein Grundrecht eines jeden Eigentümers, oder? Kann sie durch die Hintertür von der Mehrheit der Miteigentümer begrenzt werden?
Lieber Herr Wisser,
wir sind uns einig, dass ich Hausverwalter und kein Rechtsanwalt bin – und daher keine Rechtsberatung gebe (siehe auch „Haftungsausschluss“). Außerdem kenne ich die Rahmenbedingungen des Einzelfalls nicht, denn je nach Kontext muss man die Frage ganz anders beantworten.
Wenn Sie rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben haben, wird das Amtsgericht die Frage ja abschließend bearbeiten.
Mir dreht sich immer der Magen um, wenn Verwalter (oder Beirat!) versuchen, die Entscheidungen der Wohnungseigentümer auf der EV praktisch zu umgehen und auszuhebeln. Andererseits sind 5.000 EUR bei einem mittelgroßeren Haus (20 Parteien) nicht viel. Wenn z.B. dauernd die Brandschutztür zur Tiefgarage kaputt ist, nervt es Verwalter und Eigentümer, wenn für jede Reparatur eine EV einberufen werden muss.
Auch viele Verwaltervollmachten enthalten einen bestimmten Betrag, den der Verwalter ohne Rücksprache mit der EV ausgeben darf. Das Verhältnis muss einfach stimmen. Wenn die Summe des Wirtschaftsplans 100.000 EUR umfasst, sind 5.000 EUR nicht viel. Es kommt auf den Einzelfall an.