Das Dilemma der Hausordnung

In Kurzform: Wenn man sie nicht braucht, dann ist sie überflüssig. Und wenn man sie braucht, dann ist sie nutzlos. Das ist das Dilemma der Hausordnung.

Die Hausordnung – Lieblingskind vieler selbsternannter „Beiratspräsidenten“, Blockwarte und Beschäftigungstherapeuten, Ärgernis vieler Hausverwalter und Geldquelle vieler Rechtsanwälte und „Verbraucherschutz“-Organisationen.

Zum Glück werde ich als Hausverwalter relativ selten um Aufstellung einer Hausordnung gebeten, schließlich braucht man sie ja eigentlich auch nicht (und benötigt sowieso einen WEG-Mehrheitsbeschluss). Meistens wohnen im Haus ja erwachsene Leute, die auch selbst an einem geordneten Zusammenleben interessiert sind und sich sozialkonform verhalten.

Foto: Stephan Walochnik

Also – wann braucht man eine Hausordnung? (Bzw.: … wann glaubt man, sie zu brauchen)? Stellen Sie sich mal vor, irgendjemand lärmt in seiner Wohnung ordentlich herum, und zwar andauernd, hört auch abends richtig laut Musik, grölt bei jedem Fußballspiel, stellt den Müll oder seine Schuhe vor die Türe ins Treppenhaus oder knallt ständig mit den Türen.

Hilft in solchen Fällen eine Hausordnung? Nein. Nach meiner Erfahrung nicht.

Leider ist eine Hausordnung bei solchen Leuten völlig nutzlos, weil sie sie nicht mal lesen würden. Wahrscheinlich hängt sie dann im Glaskasten im Treppenhaus und verstaubt. Genau solche Chaoten werden niemals anhalten, um einen Blick auf den Text zu werfen. Und selbst, wenn man ihnen die Hausordnung postalisch zustellt, dann landet sie im Müll. Soll heißen: Diejenigen (wenigen) Menschen, an die eine Hausordnung eigentlich adressiert wäre, werden sie weder lesen noch beachten.

Natürlich es ist ganz schlimm, mit solchen Nachbarn leben zu müssen, die ihre Schuhe rechtswidrig als Brandlast im Treppenhaus stehen lassen, den Müll vor die Wohnungstüre ins Treppenhaus stellen oder sich sonst wie nicht um die Regeln eines geordneten Zusammenlebens scheren.

Ja, das sind ernsthafte Probleme. Aber die Hausordnung wird sie nicht lösen, weil sie bei solchen Leuten auf taube Ohren stößt. Und dann geht es ja noch weiter, zur Durchsetzbarkeit. Denn: Wer die Hausordnung nicht liest, wird sich auch nicht an ihre Regeln halten. Denken Sie mal einen Schritt weiter: Notfalls müssten Sie die Einhaltung der Regeln einklagen. Besonders vor Gericht wird es schwer sein, zu beweisen, wer im Treppenhaus Zigarette raucht, wessen Hund länger als 10 Minuten am Tag bellt oder wer nach 22 Uhr Klavier spielt. Oftmals dürfte die Beweisführung fast unmöglich sein. Der Nachbar duscht also die ganze Nacht? Sicherlich eine Verhaltensstörung, aber wie wollen Sie die beweisen? Einfach mal den Hausverwalter anrufen, damit er sich um 22 Uhr ins Treppenhaus stellt? (Eine ziemlich bescheuerte Idee, mit der ich sogar schon konfrontiert wurde. Die Frau, die mich darum gebeten hat, hat sogar meine Privatadresse herausgefunden und mich besucht, weigerte sich aber, bei der Nachbarin zu klingeln. Das spricht für sich!)

Foto: Stephan Walochnik

Und jetzt denken Sie mal von der anderen Seite:

Wenn Sie so ein Störenfried wären, dann würden Sie doch versuchen, sich gegen die Hausordnung zu wehren, oder? Schauen Sie doch mal im Netz, wie angreifbar Hausordnungen im Allgemeinen sind. Googeln Sie doch mal, ob Hundehaltungsverbote rechtswidrig sind – oder feste Ruhezeiten. Sie finden sehr schnell sehr viel Rechtsprechung, und die ist keineswegs eindeutig.

Zwei Beispiele:

  • Feste Ruhezeiten können ja auch eine unbillige Benachteiligung sein! Warum? „Duschen und Baden ist von 7 bis 22 Uhr gestattet“? …und dann kommt einer um 23:30 Uhr von der Spätschicht. Natürlich wird der unbillig benachteiligt! Also kann man die Regel schonmal knicken.
  • Oder „Jegliche lauten Geräusche sind nach 23 Uhr zu unterlassen“? Ohne Differenzierung? Und dann hat einer die ganze Nacht lang Coronahusten. Darf er aber nicht! Dann muss er halt zum husten vor die Tür gehen. Ist klar… Auch diese Regel taugt allenfalls als Innendekoration der Mülltonne.

Zu den Punkten, die man häufig zu regeln versucht, gibt es so viel Rechtsprechung, und die ist sehr oft mehrdeutig, wenn sie denn überhaupt zum Einzelfall passt.

  • Wie viele Minuten am Tag darf ein Hund bellen? (Und: Weiß der Hund das?)
  • Unter welchen Voraussetzungen darf man mit Holzkohle auf dem Balkon grillen?
  • Darf der Bekloppte in der EG-Wohnung beim Fußballspiel im TV völlig ausrasten und rumbrüllen?

Zu vielen Sachverhalten gibt es keine eindeutige oder passende Rechtsprechung. Und oftmals sind die Formulierungen in der Hausordnung sehr vage. Wenn man solche Probleme über die Hausordnung lösen möchte, dann wird man schnell erleben, dass dies kaum möglich ist, oder zumindest nicht rechtssicher. Meine persönliche Meinung:

Eine Hausordnung kann man dann auch ganz sein lassen, und muss seine Probleme auf andere Art lösen.

Ja, es wäre schön und einfach, wenn die Hausordnung das übernehmen könnte, aber in der Realität scheitert das Vorhaben kläglich. Also anders lösen! Es kommt auf die Situation an, aber in vielen Fällen nützt es nichts, Krieg anzufangen. Denn der Andere will sich dann ja wehren, oder es bei der nächsten Gelegenheit heimzahlen. Wenn der Hund also einen Nachmittag lang bellt, muss man nicht direkt beim ersten Mal das Ordnungsamt anrufen. Nicht beim ersten Mal. ZUERST sollte man mal an der Tür des Nachbarn klingeln und ihn darauf ansprechen. Und zwar OHNE dabei unfreundlich zu sein. Menschen spiegeln oftmals das Verhalten. Also reden Sie so, wie Sie auch selbst angesprochen werden möchten.

Wahrscheinlich würde es ihm sehr unangenehm sein. Und wenn es noch mal passiert? Noch mal an der Tür klingeln und nochmal darauf ansprechen, dass man sich gestört fühlt. Mit jedem Besuch wird es ihm unangenehmer und er wird nach und nach das Verhalten ein Stückchen anpassen. Meistens.

Foto: Stephan Walochnik

„An der Tür klingeln? Nein, das ist nun wirklich zu viel verlangt.“

Ja, es erfordert Rückgrat und einen starken Charakter. Aber was ist die Alternative? Den Hausverwalter vor sich her treiben und instrumentalisieren? (Aus meiner Sicht: Zehn Jahre Berufserfahrung, eine Antwort:) Den Hausverwalter oder die Hausordnung vorzuschicken, nützt null und nichts. In null Prozent der Fälle werden Sie auf diese Weise weiterkommen. Leider führt überhaupt kein Weg daran vorbei, selbst Rückgrat zu zeigen (oder zu entwickeln) und den Menschen darauf anzusprechen, dass es stört, wenn er auf dem Balkon unter dem Schlafzimmer raucht und mir die ganze Bude einschmökert.

Und wenn es auf lange Sicht nicht besser wird?

Auch dann hilft eine Hausordnung nicht, aber trotzdem gibt es ja zum Glück für die meisten Dinge ein Gesetz – auch (und erst recht), wenn es keine Hausordnung gibt, die ja meistens das Papier nicht wert ist.

Aber der erste Schritt muss immer sein, das Gespräch zu suchen – auch mehrfach.

Den meisten Menschen ist es unangenehm, wenn schon wieder der Nachbar vor der Tür steht, um sich zu beschweren. Erst danach sollte man über andere Maßnahmen nachdenken.

  • Da stehen also Schuhe im Treppenhaus? Trotz mehrmaliger Ansprache des Nachbarn? Das ist eine gefährliche Brandlast. Vielleicht rufen Sie die Feuerwehr? Möglicherweise ist der Spuk dann schnell vorbei, evtl. verhängt sie sogar ein Ordnungsgeld?
  • Nach den ersten vier Gesprächen bellt der Hund immer noch 8 Stunden am Tag? Erster Gedanke: Wie wollen Sie es beweisen? Vielleicht denken Sie darüber nach, das Mobiltelefon zu zücken und Ton-Aufnahmen zu machen? Aber bevor Sie das Ordnungsamt rufen, denken Sie nochmal darüber nach, wie lange Ihr Baby-Enkelkind beim letzten Besuch gebrüllt hat, nicht wahr?
  • Der Nachbar aus dem 2.OG stellt dauernd den Müll vor seine Wohnungstüre, weil er zu faul ist, ihn runterzubringen, aber ihn trotzdem nicht in der Wohnung haben will? Schreiben Sie doch mal einen (netten!!) Brief ohne Unterschrift und ohne Absender, auffälliger Umschlag (damit er ihn auch findet), und dann vor die Tür legen. Oder Sie machen ein Foto, drucken es aus und legen es dazu? Bleiben Sie nett!

Möchten Sie nicht, oder ist zu viel Arbeit?

Was glauben Sie, wie viel Arbeit es für den Verwalter ist? Eine nutzlose / wirkungslose Hausordnung durchzusetzen, macht keinen Spaß und ruft Stunden an Arbeit ohne Resultate hervor.

Und: Die meisten Menschen sind ehrlich und lassen mit sich reden. In sehr vielen Fällen ist es den Leuten einfach gar nicht klar, dass sie mit ihrem Verhalten jemanden stören.

Deswegen ist die beste Lösung, einfach hinzugehen und an der Tür zu klingeln.

Wer freundlich spricht und nicht provoziert, der kann 95% der Probleme lösen.

Foto: Stephan Walochnik

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